5. Übergewicht und Adipositas (über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körper-
fettes)
Die Ursachen der Adipositas ("Fettsucht") sind vielfältig. Familiäre Disposition (Bereitschaft), genetische Faktoren, ein moderner Lebensstil (mit Bewegungsmangel und Fehlernährung), Eßstörungen, Medikamente, Nikotinentwöhnung und hormonelle Erkrankungen können Gründe für Übergewicht darstellen. Adipositas ist zudem mit vielen anderen Erkrankungen vergesellschaftet oder begünstigt ihre Entstehung oder Verschlechterung (Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Wirbelsäulenleiden, Gelenkschmerzen, Schlaf-Apnoe-Syndrom, Gicht, Herzinfarkt, Schlaganfall, bestimmte Tumore, Luftnot, Gallenblasensteinleiden, Speiseröhrenentzündung usw.).
Von Übergewicht spricht man, wenn der Fettanteil am Körpergewicht bei Frauen 30 % und bei Männern 20 % übersteigt (insbesondere der androide Typ bei Männern mit einer stamm- oder bauchbetonten Adipositas, sog. "Apfeltyp", ist mit einem hohen Gesundheitsrisiko verbunden).
Zur groben Orientierung des Übergewichtes dient die Broca-Formel. Das Normalgewicht nach Broca (in kg) ist gleich der Körpergröße (in cm) minus 100, z.B. 170 cm Körpergröße - 100 = 70 kg Normalgewicht.
Mit dem Körpermassenindex (Body Mass Index, BMI) kann das Körpergewicht des Menschen besser beurteilt werden. Er errechnet sich aus dem Körpergewicht geteilt durch die Körpergröße (in Meter) zum Quadrat. Der normale BMI für Erwachsene beträgt 18,5 - 24,9 kg/m2. Als Beispiel wurde ein Patient mit 90 kg Körpergewicht bei einer Körpergröße von 170 cm (1,7 m) gewählt: 90 kg : 1,72 = 90 : 2,89 = BMI von 31,14 kg/m2
Die Ausprägung des Übergewichtes/der Adipositas kann somit gut am BMI verdeutlicht werden:
- Übergewicht: BMI 25-29,9 kg/m2
- Adipositas Grad I: BMI 30-34,9 kg/m2
- Adipositas Grad II: BMI 35-39,9 kg/m2
- Adipositas Grad III: BMI 40 kg/m2 oder größer
In Deutschland sind fast 2/3 der Männer und jede 2. Frau übergewichtig. Derzeit gelten 20 % der Erwachsenen als adipös - Tendenz steigend. Eine Therapie des übergewichtigen Patienten sollte bei einem BMI von größer oder gleich 30 kg/m2 oder einer adipositas-assoziierten (mit starkem Übergewicht einhergehenden) Erkrankung in Betracht gezogen werden.
Eine langsame Gewichtsabnahme wird hierbei angestrebt (etwa 10 kg in 3 - 6 Monaten), da ansonsten ein Jo-Jo-Effekt (erneute, teilweise noch stärkere Gewichtszunahme) zu erwarten ist.
Eine Gewichtsreduktion wird in der Regel durch folgende vier Punkte erreicht:
1. Ernährungsumstellung/Verhaltenstherapie (z.B. eine Ernährung nach den 10 Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung)
2. Verminderung der täglichen Kaloriengesamtzahl (insbesondere mit vermindertem Fettanteil => siehe Anmerkung unten; Reduktionskost von beispielsweise 1500 kcal/Tag oder ein tägliches Energiedefizit von 500 - 800 kcal)
3. ausreichende Bewegung bzw. sportliche Aktivitäten (Steigerung des Kalorienverbrauches)
4. Stabilisierung der erreichten Gewichtsabnahme durch ballaststoffreiche, fettarme salzbegrenzte) Kost, wobei der Genuss an alkoholischen Getränken beachtet werden muss
Anmerkung: Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass man auch mit einer fettreichen/eiweißreichen Diät durchaus abnehmen kann. Bei dauerhafter Anwendung dieser Diätform wird allerdings befürchtet, dass hierunter Herz-/Kreislauferkrankungen und Gallenblasensteinleiden zunehmen könnten (neuere Studien haben dies aber nicht belegt).
In einigen Fällen werden unterstützend verschreibungspflichtige Medikamente eingesetzt. Ein operatives Vorgehen (z.B. Anlegen eines "Magenbandes") ist meist nur bei massivem Übergewicht angezeigt.
Zu Beginn der geplanten Gewichtsabnahme sollte durch ein Arztbesuch das individuelle Gesundheitsrisiko und die Leistungsfähigkeit bezüglich sportlicher Aktivitäten beurteilt/ überprüft werden.
Kalorienverbrauch
Abnehmen ohne Bewegung ist sicherlich möglich - aber schwierig. Unterstützt von einer Reduktionskost kann durch körperliche Bewegung der Kalorienverbrauch gesteigert werden. Letztlich zählt eine negative Energiebilanz. Also mehr Energie verbrauchen als dem Körper mit der Nahrung zuführen.
Kernaussagen zum Übergewicht/zur Fettsucht
In die Anzahl der Erkrankungsfälle nimmt hinsichtlich der Adipositas in der Bevölkerung zu.
Das Wohlstandssyndrom (vermehrter Taillenumfang, Bluthochdruck, erhöhte Blutzuckerwerte sowie Blutfettwerte) nimmt an Häufigkeit ebenfalls zu und führt nachweislich zu einer vorzeitigen Gefäßverkalkung mit all seinen Komplikationen (z.B. Herzinfarkt, Schlaganfall oder zu dem so genannten Raucherbein).
Speziell für junge Menschen besteht bei erheblicher Adipositas (und körperlicher Inaktivität) ein hohes Sterblichkeits-Risiko.
Grundlage jedes Gewichtsmanagements ist ein Basisprogramm, das aus Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie besteht. Dies kann bei Erwachsenen durch eine medikamentöse oder chirurgische Therapie ergänzt werden (muss jedoch im Einzelfall entschieden werden).
Ein angestrebtes Ziel ist eine Senkung des Ausgangsgewichtes um 5-10% innerhalb von etwa 6-12 Monaten (Erwachsene). In Ausnahmefällen (schwerwiegende medizinische Gründe) kann eine raschere Senkung des Körpergewichtes notwendig werden.
Nicht zu empfehlen sind Totales Fasten (Nulldiät) sowie Crash- und Außenseiterdiäten, die sich größtenteils nicht an Erkenntnissen der Ernährungswissenschaft orientieren und gesundheitliche Risiken bergen. Es gibt durchaus Diäten und Konzepte, die hierzu eine sinnvolle Alternative darstellen (z.B. Weight Watchers, Brigitte-Diät usw.). Allerdings scheitern auch einige dieser gut gemeinten Diäten an der Motivation der Betroffenen. Viele negative Einflüsse (Stress im Beruf, Depressionen, familiäre Belastung…) sind hier denkbar.
Geeignete Sportarten beim Abnehmen sind Laufen, Fahrrad fahren (auch Benutzen eines Crosstrainers oder Ergometers), Schwimmen, Rudern, Walking, wobei die individuelle Situation mit Gesundheitsrisiken, Belastungsgrenze und persönlicher Neigung betrachtet werden sollte.
Bei guter Motivation und konsequenter Umsetzung des oben genannten Basisprogramms könnten sicherlich mindestens 30% der Übergewichtigen ihr Körpergewicht langfristig reduzieren. Nach meiner Einschätzung schaffen dies tatsächlich nur etwa 10% (ohne Unterschied auf das Geschlecht. Dies ist jedenfalls meine Beobachtung, die natürlich nicht verallgemeinert werden darf). Es gibt Krankheiten mit wesentlich schlechterer Prognose (Krankheitsvorhersage), auf die wir Mediziner und auch die Patienten keinen Einfluss haben. Bei Übergewicht und Fettsucht spielen unsere Gene (unser Erbgut) sicherlich eine entscheidende Rolle. Diese können wir nicht beeinflussen - jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Umwelteinflüsse (Bewegung, Essensaufnahme), die zur Ausprägung des Übergewichtes beitragen, lassen sich jedoch von uns steuern. Es liegt also auch in unserer Hand, gegen das Übergewicht etwas zu unternehmen.
Dennoch oder gerade deswegen kommt der Prävention/Vorbeugung (schon im Kindesalter, siehe unten) eine besondere Rolle zu.
Situation bei Kindern und Jugendlichen
10-20% aller Schulkinder und Jugendlichen sind übergewichtig – Tendenz steigend!
Übergewicht ist mittlerweile die häufigste chronische Gesundheitsstörung bei Kindern und Jugendlichen.
Die Ursachen sind multifaktoriell, u.a. veränderte Lebensbedingungen (übermäßige Zufuhr von kalorien- und fettreicher Nahrung sowie körperliche Inaktivität), die auf dem Boden einer genetischen Veranlagung wirksam werden und zu einer Zunahme der Fettmasse führen.
Ein wesentliches Risiko für Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen scheint damit die zunehmende sitzende Lebensweise zu sein. Man konnte nachweisen, dass bei Kindern, die mehr als zwei Stunden pro Tag vor dem Fernseher oder Computer verbringen, das Risiko für Übergewicht um den Faktor 1,7 erhöht war.
Aber auch die steigende Zahl von Schnellimbissen und Restaurants, zunehmende Portionsgrößen und kalorienreiche Getränke fördern eine übermäßige Kalorienaufnahme (damit resultiert eine positive Energiebilanz, keine ausgeglichene, die eigentlich favorisiert wird).
Was ist bei Kindern zum Thema Abnehmen zu beachten:
- eine Diät ist nicht immer angebracht (Begleiterkrankungen oder das Ausmaß des Übergewichtes fliessen bei der Entscheidung mit ein)
- manchmal reicht es aus das Gewicht konstant zu halten (das Wachstum wirkt sich hier positiv aus)
- sinnvoll ist eine Umstellung der Ernährung und für eine genügende Bewegung zu sorgen
- es werden Therapieprogramme mit Langzeitbetreuung gefordert
- die Eltern müssen eingebunden sein
- auch der Kinderarzt/Hausarzt, eine psychologische Betreuung oder spezialisierte Zentren (leider gibt es für Kinder noch zu wenig)sollten ggf. zu Rate gezogen werden
Fazit:
Insgesamt muss in der Bevölkerung das Bewusstsein über die gesundheitlichen Risiken gestärkt werden. Kindern sollte daher schon früh (im Kindergarten oder in der Grundschule) vermittelt werden, dass sie sich viel bewegen und ausgewogen ernähren. Die Prävention/Vorbeugung der Adipositas im Kindesalter stellt damit eine gesundheitspolitische Herausforderung dar. Nicht zuletzt weil vermutet wird, dass nur jedes dritte übergewichtige oder fettleibige Kind von einer Therapie dauerhaft profitiert.
Anmerkung: Das Ausmaß des Übergewichtes bei Kindern wird durch spezielle Tabellen ermittelt (der BMI wie bei Erwachsenen kann daher nicht uneingeschränkt auf Kinder übertragen werden; Angabe bei Kindern erfolgt in Perzentilen/Kurven bzw. Abweichungen von der Norm).